GEOMETRIE DER LIEBE

April 15, 2012 § Hinterlasse einen Kommentar

Foto: Kunstfestspiele / Mahramzadeh

Musiktheater nach Motiven von Pier Paolo Pasolini von Alexander Charim und Michael Rauter

Regie: Alexander Charim
Musikalische Konzeption: Michael Rauter
Bühne: Ivan Bazak
Kostüme: Aurel Lenfert
Licht: Benjamin Schälike
Dramaturgie: Norbert Abels

mit Juliane Fisch, Maria Thomas, Lisa Wildmann, Stephan Baumecker, André Kaczmarczyk, Christian Löber und dem Solistenensemble Kaleidoskop

Kunstfestspiele Herrenhausen – Hannover

Premiere am 1. Juni 2012 – 20 Uhr

Foto: Kunstfestspiele / Mahramzadeh

TEOREMA – Projekt eines Zusammenbruchs 
von Alexander Charim

Ein mysteriöser Gast taucht im Haus einer Mailänder Industriellenfamilie auf.  Nach und nach erliegen die Familienmitglieder seiner Faszination. Jeder von ihnen wird von dem Gast berührt, jeder erfährt durch ihn eine Wende in seinem Leben. Alle verlieben sich in ihn, alle verlieren mit dieser Liebe die Sicherheit, dass sie glücklich sind. Nach seiner plötzlichen Abreise hinterlässt der Gast grenzenlose Leere und seelisches Chaos.

Das Theorem von Pasolini ist das von Menschen, die auf die eigenen existenziellen und politischen Bedürfnisse mit einem formalistischen System aus Denkweisen, Verhaltensweisen und Alltäglichkeiten antworten. Das, was wir unsere Lebensweise nennen. Je penibler wir unseren Alltag in eine Abfolge von Wiederholungen strukturieren, umso mehr verdrängen wir die Sehnsucht nach dem anderen Leben und nach den unmöglichsten Gefühlen. Was ist das eigentlich, das wir täglich aufstehen, uns anziehen, waschen, zur Arbeit gehen, essen, schlafen? Wie sehr mechanisiert uns unser Alltag? Wogegen schützt er uns? Wie lächerlich macht er uns? Versäumen wir unser Glück, während wir Zähne putzen? Wie bedrohlich sind die Träume und Sehnsüchte, die zum Vorschein kommen, wenn dieser Alltag verschwindet? Ist die einzige Politik, die wir noch haben, die Strukturierung unseres Alltags?

Foto: Kunstfestspiele / Mahramzadeh

Ein unerwartetes Ereignis, der Einbruch des Irrationalen in die geregelte Lebenswelt, genügt, um die Leere zu offenbaren. Nachdem die Familie sich der Sinnlosigkeit ihres Theorems bewusst geworden ist, bricht ihr Leben zusammen. Sie haben keine Alternative zu ihrem bisherigen Lebensentwurf.

GEOMETRIE DER LIEBE ist ein Projekt über den Zusammenbruch einer Lebensweise, eines Wertesystems. Wenn man aufhört zu glauben, dass es in unserem Leben nur um die Anhäufung von Geldwerten und Waren geht. Gibt es eine Alternative zur Verzweiflung nach dem Zusammenbruch? Pasolini beschreibt in seiner Literatur und in seinen Filmen schon vor fast 50 Jahren die Unmöglichkeit einer Gesellschaft ohne Utopie und ohne Fantasie für ein anderes Leben, die Unmöglichkeit einer Gesellschaft, die in allen Bereichen nur auf die Leistung und Wertschaffung hin konzipiert ist. Die Rückseite der Kälte dieser Welt und des maschinellen Alltags ist bei Pasolini die Lebenslust an den Rändern, die Subversion in der Nische und der grandiose Freiraum, der entsteht, wenn das System zusammenbricht. Die Krise, von der heute so viel gesprochen ist, hat Pasolini mit Schaum vor dem Mund als Dauerzustand seiner Welt diagnostiziert, und das am Höhepunkt ihrer wirtschaftlichen Potenz, in der vollen Blüte der Nachkriegswirtschaft und des Babybooms. Lange bevor wir die Krise als Gefahr erlebt haben. Die Krise, die wir gerade erleben, am Modell einer Familie durchgespielt. Die Krise nicht nur als Negation von allem Bestehenden, sondern als Öffnung eines Denkraumes. Die Krise als Chance, seiner eigenen Authentizität zu begegnen, vielleicht auch als Chance zu bestimmen, was wir eigentlich wollen in unserem Leben.

Heute fehlt uns jemand wie Pasolini. Jemand der sich weigert, den Reichtum der menschlichen Existenz in ein Oben und ein Unten aufzuspalten. Jemand der die Widersprüche in seinem Denken, seiner Kunst und seinem Leben nicht zugunsten einer besseren Konsumierbarkeit glattbügelt. Jemand der sich weigert zu akzeptieren, dass wir in einer nur noch auf den Warenwert starrenden Gesellschaft selbst zur Ware werden. Jemand der die Liebe als unmögliches, rasendes und augenöffnendes Gefühl feiert. Jemand, der sich weigert, nach der Liebe wieder zum Alltag zurückzukehren.

Foto: Kunstfestspiele / Mahramzadeh

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